Durchzogenes Bergwetter

Wenn wir aus dem Panoramafenster des Zugs schauen, verlassen wir Gstaad an einem bewölkten und regnerischen Tag – ziemlich unpassend im Rückblick auf die gesamte Turnierwoche, war gerade diese über weite Strecken – mit Ausnahme von vereinzelten Gewitter – sonnig. Wie das Wetter am Finaltag fällt auch das Fazit bezüglich der Auftritte der Schweizer Tenniscracks in Gstaad durchzogen aus. Von den vier Schweizern im Hauptfeld überstanden deren Drei die erste Runde nicht.

Marc-Andrea Hüsler bekam es in der ersten Runde mit dem Serben Hamad Mededovic zu tun, welcher im Vorjahr das Halbfinale von Gstaad erreicht hatte. Zwar entschied Hüsler das Tiebreak zum Gewinn des ersten Satzes noch für sich, musste sich allerdings am folgenden Tag (da nach dem ersten Satz das Match wegen Dunkelheit abgebrochen wurde) dem Serben dennoch in drei Sätzen geschlagen geben. Zwei davon gingen ins Tiebreak, was eigentlich für eine enge Partie und starke Aufschlagsleistung beider Spieler gesprochen hat. Jedoch erlebte Mac Hüsler mit 13 verlorenen Punkten in Folge einen Horrorstart in den Entscheidungssatz, von welchem er sich nicht mehr erholen konnte. Hätte das Match einen anderen Verlauf genommen, wenn es noch am gleichen Tag fortgesetzt worden wäre? Das sind immer diese Fragen, die ich mir als Tennisfan stelle, sich aber leider nie abschliessend beantworten lassen.

Mit einer Wildcard ausgestattet griff Dominic Stricker in das Gstaader Turniergeschehen ein und traf in seinem Erstrunden-Match auf den Niederländer Botic Van De Zandschulp. Das Match, wie auch die nachgehenden Aussagen von Stricker selber zeigten jedoch, dass er sich noch im Comeback von seiner Rückenverletzung befindet. Zwar hatte Stricker im zweiten Satz mit vier Breakbällen die Chance, sich in das Match zurückzukämpfen. Jedoch war die fehlende Matchpraxis augenscheinlich und die Niederlage in zwei Sätzen gegen den soliden Grundlinienspieler Van de Zandschulp schliesslich nicht mehr abzuwenden. Mit dem fehlenden Level des Spiels von Stricker war dementsprechend die Stimmung auf den Rängen des Center Courts gedrückt, was allerdings mit den eben genannten Gründen mit Vorsicht zu bedauern ist.

Die Bestnote für den Auftritt mit tosenden Jubel und grossartiger Stimmung während des Matchs holte sich Stan Wawrinka ab in seiner ersten Runde gegen Lukas Klein aus der Slowakei. Nach verlorenem Tiebreak im ersten Satz stemmte sich Wawrinka entschlossen gegen die Niederlage, holte sich den zweiten Umgang mit 6-2 und erzwang einen dritten Satz, angetrieben vom Publikum und nicht zuletzt vielen anwesenden Familienmitgliedern. Um so bitterer, dass die Partie beim Stand von 5-6 bei Aufschlag Wawrinka und mit dem verwerteten Matchball des Slowaken nach 30-30 ein jähes und schnelles Ende fand. Zur Erklärung der Niederlage stellten wir uns die Frage, ob sich Stan auf dem Platz zu wenig wohl fühlte, war seine voll durchgezogene Rückhand als sein Markenzeichen während des ganzen Matchs nur selten zu sehen. Erklärungen hin oder her, die Enttäuschung war Stan beim Verlassen des Courts sichtlich anzusehen, was jeden Schweizer Tennisfan schmerzt. Doch bleibt keine Zeit um Trübsal zu blasen, steht für den 39-Jährigen Romand noch ein weiteres Karriere-Highlight bevor: Olympia.

Mit seinem persönlich zweiten Sieg auf ATP-Stufe sorgte Leandro Riedi in der ersten Runde gegen den Franzosen Gregoire Barrere für den einzigen Schweizer Sieg im diesjährigen Turnier von Gstaad. Überraschend stilsicher bei eigenem Aufschlag, variabel an der Grundlinie und abgebrüht am Netz zeigte sich Riedi von einer seinen besten bisherigen Seiten. Die von Riedi im Siegerinterview angesprochene belohnende Cola war mehr als verdient. Auch im Zweitrunden-Duell gegen den formstarken Jan-Lennard Struff aus Deutschland hielt Leandro Riedi mit verpassten Breakchancen im ersten Satz sowie zwei Sätzen, die erst im Tiebreak gegen den Schweizer entschieden wurden, entschlossen dagegen und sorgte somit aus der Sicht der Schweizer Brille für den Lichtblick des Turniers.

Reissender Fluss

Bei der weiteren Durchfahrt des Simmentals auf unserem Rückweg fällt – wie der Name bereits sagt – die Simme direkt ins Auge. Diese fliesst in der Kadenz nun etwas reissender als bei unserer Ankunft von vor wenigen Tagen, was wohl den vereinzelten Gewittern und dem heutigen Niederschlag geschuldet ist. Ebenfalls mitreissend waren die Gespräche zwischen den Spielern und Trainern während der Matches in Gstaad. Der erste Platz bezüglich der Kategorie für die unterhaltsamste Interaktion ging eindeutig nach Italien mit Fabio Fognini, welcher oftmals zwischen den Punkten das Gespräch (wenn es so genannt werden kann) mit seiner Trainerbox suchte. Nicht selten fiel dabei das italienische F-Wort mit C. Achtmal war sein Highscore zwischen einem Ballwechsel – ja, ich habe mitgezählt. Sowohl die emotionalen Anfeuerungen von Trainerteam und Familie Wawrinka, wie auch die Besprechungen zwischen Stefanos und Vater Apostolos Tsitsipas mit unserem verbundenen Bedauern, damals in der Schule keinen Griechischkurs belegt zu haben, schufen neue Eindrücke, welche bis anhin nicht an jedem Tennisturnier gemacht werden konnten.

Ruhiger See

Bei passieren des Simmentals kommt schon allmählich der Thunersee ins Blickfeld, welcher vor allem die Fischarten der Forellen und Felchen beheimatet. Ähnlich frei wie diese Fische im See konnten sich auch Zuschauer und Spieler im Areal von Gstaad frei begegnen. Insbesondere vor Turnierstart in der Idylle der Qualifikation ohne allzu grosses Zuschaueraufkommen waren unsere Ausflüge auf die jeweiligen Trainingsplätze etwas ausserhalb der Hauptanalage keine Seltenheit. Diese schufen nämlich auch die Gewissheit, dass die Profis gar nicht so komplett verschieden trainieren wie wir Hobby-Spieler, mal ganz abgesehen von der Intensität und vom Niveau. Meist sind es wie in unserer Freizeit die Simplen Ballwechsel, Crossduelle und Returns, welche die gängigen Trainingsinhalte darstellen. Ein zusätzliches Element für die Attraktivität eines Trainingsbesuchs stellte die Begegnung mit den Spielern nach den jeweiligen Trainingseinheiten dar, sei es etwa das stressfreie Bilderschiessen mit Stefanos Tsitsipas und Unterhaltung mit Bruder Petros bis hin zum letzten Abschiedsgruss an Dominic Thiem, der bekanntlich Ende Jahr seine Karriere beenden wird.

Immer mehr verschwindet nun die Bergkette des Berner Oberlands am Horizont und wir nähern uns der Endstation einer rund vierstündigen Zugfahrt. Beim Verlassen des Zugs in Basel nehmen wir nicht nur unser Reisegepäck mit auf den Bahnsteig, sondern auch die in einer grossen Masse gesehenen Tennismatches und die während dieser Zugfahrt verarbeiteten Eindrücke und Erlebnisse im familiären Umfeld des ATP-Turniers von Gstaad.